In Livingstone an der Grenze zu Simbabwe will ich meine Reise durch Sambia und Tansania fortsetzen und bis nach Dar es Salam fahren. Ich bin mir anfangs noch nicht sicher, ob ich auch durch Malawi reisen soll, da die damalige Hungerkatastrophe in diesem Land eine Fahrt mit dem Rad sicher sehr schwierig machen würde. Es ist eigentlich auch nicht notwendig, da nach Lage der Straßenkarten der direkte und überwiegend geteerte Weg ohnehin an Malawi vorbeiführt. In der Süddeutschen Zeitung bekomme ich einen Artikel über Malawi zu lesen. „Mit Mäusen und Wurzeln füllen die Menschen ihre Mägen“ steht als Schlagzeile in der Überschrift. Malawi ist von allen Ländern dieser Welt als eines der Ärmsten einzustufen. Ich halte mir die Entscheidung für einen späteren Zeitpunkt auf. Zunächst bin ich jedoch froh Simbabwe bereits durchquert zu haben. Denn unmittelbar nach meiner zweiten Reise sollten sich die Unruhen erheblich ausweiten und es setzte eine regelrechte Jagd auf weiße Farmer ein. Farmer, die aufgrund einer früheren Landreform in Besitz von Grund und Boden gekommen sind und dieses Land über viele Jahre hinweg erfolgreich bewirtschaftet und aufgebaut haben, sind bei diesen Unruhen die Zielscheibe der schwarzen Bevölkerung geworden. Aufgehetzt wurden sie von ihrem Präsidenten Mugabe, der die entschädigungslose Enteignung der Großfarmer will. Als ein Verfassungsentwurf hierfür abgelehnt wurde, setzte eine gewalttätige Jagd auf weiße Farmer mit illegaler Landbesetzung ein. Mugabe unternahm nichts, um diesem Treiben ein Ende zu setzen. Ganz im Gegenteil, er unterstützte diese Aktionen noch, um seine Intention, alle Macht der weißen Bevölkerung zu nehmen, weiter zu forcieren. Zu dieser Zeit war eine Reise mit dem Fahrrad durch Simbabwe sicher nicht mehr sehr ratsam. Aber nicht nur hier war Präsident Mugabe Antreiber von Menschenverfolgung, Hass und Unterdrückung. Als Mitte März, kurz vor meinem Reiseantritt, der zweite Golfkrieg ausbrach und der damalige amerikanische Präsident Bush Jun. mit aller Macht Iraks Saddam Hussein entmachtete und das irakische Volk von diesem Diktator befreite, nutzte der andere Diktator Mugabe die Zeit, in der die ganze Welt auf den Irak schaute, um gnadenlos Jagd auf viele Oppositionelle seiner Regierung zu machen, die er gerne als Marionetten der USA bezeichnete. Die Diktatoren dieser Welt sterben wohl nie aus, zumindest nicht in Afrika. Mugabe gilt aber auch bei den Nachbarländern als höchst umstritten und unbeliebt. Seine Korruptionspolitik führte dazu, dass die Menschen des Landes kaum mehr etwas zu essen bekamen, die Regale der Kaufhäuser leer blieben, notwendiges Benzin für Autos und Flugzeuge zur Mangelware wurde und somit auch die Zahl der Touristen stark zurück gingen. Mit der Folge, dass die relativ jungen Unternehmen der Touristikbranche nicht mehr existenzfähig waren und somit dem erst jungen Wirtschaftszweig erheblicher Schaden zugefügt worden ist. Selbst in Sambia waren zur Zeit meiner dritten Afrikareise die Zeitungen voll mit den negativen Schlagzeilen aus Simbabwe. Doch für Präsident Mugabe war das alles kein Grund zurückzutreten, hatte er doch seine letzte Wiederwahl knapp und sehr umstritten für sich entscheiden können.
Ich musste mich aber langsam für mein neues Ziel vorbereiten. Meine Reiseplanungen liefen jetzt schon in gewohnter Manier ab. Ich besorgte mir aktuelle Straßenkarten und beantragte die notwendigen Visen für Sambia und Tansania. Straßenkarten sind in Afrika sehr schwer zu bekommen, deshalb achte ich darauf, für die vollständige Strecke maßstabsgerechte Karten im Maßstab von mindestens 1:2 000 000 zu besorgen, besser sind natürlich noch detailliertere Karten. Das Visum für Malawi könnte ich mir immer noch an der Grenze besorgen, falls ich kurzfristig meine Reisestrecke doch noch ändern sollte. Auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes holte ich mir die aktuellen Sicherheitsinformationen ein. Außer den üblichen Gefahrenhinweisen bei nächtlichen Überlandfahrten und für den Aufenthalt in Ballungsgebieten, waren keine besonderen Hinweise dabei die zu einer Einreise abrieten. Natürlich wird bei den offiziellen Verlautbarungen niemals von einer Reise mit dem Fahrrad ausgegangen. Das Rad bietet sicherlich einerseits kaum Schutz vor Überfällen, jedoch wird man selten als lohnenswertes Opfer eingestuft, sieht man mal von gefräßigen Löwen ab, die ich allerdings auf offener Strecke auch auf dieser Reise nicht erwarte. Im Internet stieß ich jedoch auf einen Bericht, dass im Frühjahr 2002 in Malawi eine Bikerin ausgeraubt und ermordet wurde. Ein Grund mehr zur Vorsicht und ein Grund, der zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht für die Einreise nach Malawi sprach. Später auf meiner Reise traf ich Bob aus Ägypten, der in Tansania einen Campingplatz führt. Er begegnete der jungen Frau, noch kurze Zeit bevor sie nach Malawi aufbrach. Sie sei äußerst mutig und körperlich topfit gewesen. Er konnte die spätere Nachricht von ihrer Ermordung gar nicht fassen, da die Menschen von Malawi auch in allen Nachbarländern als sehr freundlich und hilfsbereit gelten. Als Frau ist es in Afrika aber auch wesentlich gefährlicher alleine zur reisen. Bei solchen Abenteuern lassen sich Restgefahren wohl niemals ganz ausschließen.
Für mein Bike habe ich eine weitere Halterung für eine große Trinkflasche angebracht, so dass ich jetzt vier Liter Flüssigkeit am Rahmen befestigen kann. Mehr lässt die Rahmengeometrie einfach nicht zu. Zur Sicherheit nehme ich auch noch einen neuen Mantel mit, da die Ersatzteilbeschaffung diesmal wohl sehr beschwerlich werden könnte. Auch über den Reiseproviant mache ich mir Gedanken. Trockenfrüchte halte ich als Grundversorgung und als Notration für geeignete, da sie gut haltbar sind und wenig Platz in meinen Satteltaschen benötigen.
Vor meinem Antritt der Reise starte ich über die regionale Presse eine Spendenaktion für ein Projekt im Kongo. Bei dem Projekt „Matadi“ sollen Mütter und deren Kinder über ein Selbsthilfeprogramm geholfen werden. Ich war überrascht wie viele Menschen sich bei mir meldeten und helfen wollen. So kann ich in kurzer Zeit fast 2000 Euro Spendengelder an das Projekt übergeben. Viele zeigen sich im Gespräch mit mir sehr interessiert über mein neues Vorhaben, aber nie habe ich das Gefühl, dass sie meine Gründe, warum ich mich in Gefahr bringe, wirklich verstehen.
Trotz der diesmal sehr langfristiger und sorgfältiger Planung, weiß ich noch bis zum Tag der Abreise nicht sicher, ob ich meine Reise antreten kann. Zwei Wochen vor dem Abflug verletze ich mich bei einem Fußballmatch. In den darauf folgenden Tagen laufe ich mit geschwollenem Knie durch die Gegend und hoffe auf schnelle Besserung. Ich habe zwar keine Schmerzen, aber es bildet sich Flüssigkeit neben der Kniescheibe und schon allein der Gedanke daran lässt ein Unbehagen in mir aufkommen, angesichts der Tatsache die nächsten Wochen über 2500 Kilometer mit dem Bike zurück legen zu müssen. Aber ich kann und will meine Reise nicht mehr absagen. Alles ist vorbereitet, in der lokalen Presse wird in den nächsten Tagen ein Artikel über die Reise erscheinen und so beschließe ich, in jedem Fall loszufahren. Zur Sicherheit begebe ich mich dennoch in ärztliche Obhut und bekomme zu meiner Erleichterung auch grünes Licht signalisiert. Ich habe mir zum Glück nur eine Prellung zugezogen.
So läuft am Ende alles nach Plan und ich stehe am 28. April mit meinem Bike im Flughafengebäude von Livingstone. Mein drittes Abenteuer in Afrika kann endlich beginnen...
Auch wenn ich mit Erleichterung mein Fahrrad in Empfang nehme, auf meine zwei Satteltaschen warte ich vergebens. So muss ich am ersten Tag schon um meine Ausrüstung bangen. Ohne mein akribisch geplantes und zusammengestelltes Gepäck mit Werkzeug, Ersatzteile und meine Medikamente, ist an einen Start nicht zu denken. Ich kann vorerst nichts weitere tun als zu warten. Meine Fotoausrüstung habe ich gottlob als Handgepäck mitgenommen. Ich kann nur hoffen, dass morgen meine Satteltaschen nachkommen. Eine freundliche Flughafenangestellte drückt mir ein Formular in die Hand und erklärt mir, dass ich den Wert des Fahrrades hierin eintragen soll. Ohne länger darüber nachzudenken gebe ich einen Wert von 100 Dollar an, wohl wissend kräftig untertrieben zu haben. Sofort beginnt bei ihr eine minutenlange Tipperei auf dem Taschenrechner an dessen ende sie mir zu verstehen gibt, dass ich 266.150 Kwatscha (Kwatscha ist die Landeswährung in Sambia) für die Verzollung des Fahrrads bezahlen muss. Wie der Wert zustande kommt und warum ich überhaupt Zollgebühren entrichten soll, ist mir jedoch vollends unklar und kann von ihr auch nicht erklärt werden. Auch alle meine Erklärungsversuche, dass ich dieses Rad nicht einführe und nur zu meinem persönlichen Gebrauch verwende, lassen bei ihr keinen Zweifel an der Richtigkeit ihrer Zollerhebung zu. Ich lasse mir den Wert in Dollar umrechnen und bekomme von ihr schließlich 66 Dollar genannt. Das erscheint mir bei dem angegebenen Wert nun doch ein wenig hoch. Zu guter Letzt einigen wir uns nach zähem verhandeln auf 40 Dollar, die ich allerdings nur mit Widerwillen und unter Protest bezahle, um endlich den Flughafen verlassen zu können. Zur Erstversorgung für das fehlende Gepäck bekomme ich von meiner Fluggesellschaft Britisch Airways 20 Euro ausgehändigt. Somit habe ich zumindest einen Teil der merkwürdigen Zollgebühren wieder zurück. Am nächsten Wechselschalter wechsle ich dann noch 200 Dollar in Kwatschas, um etwas Bargeld bei mir zu haben. Ich traute meinen Augen nicht, als ich 1 Millionen Kwatscha hierfür bekomme und habe im wahrsten Sinne des Wortes alle Hände voll zu tun um das ganze Geld zu verstauen. Jetzt bin ich Kwatscha Millionär geworden. In Livingstone quartiere ich mich im Waterfront Resort ein. Livingstone hat sich in den vier Jahren seit meinem letzten Besuch fast nicht verändert. Der Ort, der als „Tourist capital of Zambia“ gilt, wirkt auf mich immer noch klein und beschaulich. Große Hotelanlagen wie in Victoria Falls sind auch nach vier Jahren mit stetig steigenden Touristenzahlen nicht entstanden und der Besucher findet noch kleine schöne Anlagen mit sehr gutem Service. Sambia profitiert bei den Besucherzahlen aber auch von den Auswirkungen der Korruptionspolitik und den derzeitigen Unruhen in Simbabwe.
Wie wenig sich die Menschen hier auf den Tourismus eingestellt haben, erkenne ich spätestens, als ich einige Postkarten kaufen möchte. Als ich endlich fündig werde, knöpfen sie mir einen Dollar je Karte ab und fordern mich auf, morgen nochmals wiederzukommen, da den Verkäufern im Laden der Preis nicht genau bekannt ist. Zurückbekommen sollte ich allerdings auch am nächsten Tag nichts mehr.
Der Aufenthalt in Livingstone gehört wie schon auf meiner letzten Reise wieder zu den landschaftlichen Höhepunkten hier in Afrika. Auch diesmal gönne ich mir einen atemberaubenden Flug über die Victoriafälle, diesmal jedoch mit dem Hubschrauber. Nach der Regenzeit werden die Fälle mit enormen Wassermassen gespeist und sind deshalb durch die Gischt schon aus weiter Entfernung erkennbar. Teilweise sind die Fälle am Boden nur mit Regenschirm oder Regenjacke passierbar. Aus der Luft kann man die ganze Größe und Schönheit des Wasserfalles erkennen. Es ist noch viel schöner, als mit dem Flieger darüber zu fliegen. Wie Spielzeug schaut die Grenzbrücke über den Sambesi aus dieser Höhe aus. Als ich am Abend von meiner Tour zurückkomme, stelle ich fest, dass mir ein Dia-Film mit Bildern vom Flug fehlt. Der kann mir nur im Hubschrauber verloren gegangen sein. Sofort fahre ich zurück zum Flugplatz und habe Glück, dass der Hubschrauber gerade wieder von seiner Tour zurückkommt. Noch mehr Glück habe ich, als ich zwischen den Sitzen am Boden meinen Film wiederfinde. Ich atme kräftig durch. Und die guten Nachrichten gehen noch weiter. Im Hotel erfahre ich, dass in der Zwischenzeit auch mein Gepäck angekommen ist. Dem Start steht somit nichts mehr im Wege.
Am 1. Mai starte ich dann endlich auch meine erste Tagestour mit dem Rad in Richtung Dar es Salam. Ich kann es kaum erwarten, auch wenn oder vielleicht auch gerade weil ich nicht weiß, was auf mich zukommt. Um 6.00 Uhr sitze ich auf dem Sattel und muss bis nach Simba dem ersten größeren Ort an dem ich vorbeikomme, gehörig aufpassen in der morgendlichen Dämmerung nicht Opfer der riesigen Schlaglöcher zu werden. Doch der erste Eindruck von den Straßen Sambias sollte sich auf der Reise nicht bestätigen. Über weite Teile des Landes wurden Straßen neu asphaltiert und waren im optimalen Zustand. Doch andere, größere Gefahren lauern auf mich. LKWs und Busse donnern bei hohem Tempo nur um Haaresbreite an mir vorbei und verursachen jedes Mal einen Windstoß der mich fast vom Fahrrad reißt und mich ständig aus dem Tritt kommen lässt. Später lese ich in der Zeitung einen Bericht über die Verhaltensregeln für Radfahrer bei der Benutzung öffentlicher Straßen. Man solle gegen den Verkehr radeln, so wie es die meisten Schwarzen in den südlichen Ländern Afrikas tun. Noch dazu fahren sie von der Straße ab, sobald sich ein größeres Fahrzeug nähert. Ich stelle mich dieser Gefahr, bleibe eisern auf der linken Straßenseite und harre der Dinge, auch wenn die Busse hinter mir ein regelrechtes Hupkonzert veranstalten. Doch wenn ich bei jedem Bus und jedem LKW absteigen würde, dann würde ich nicht sehr weit kommen. 130 Kilometer stehen am ersten Tag auf meinem Kilometerzähler. Diese Distanz werde ich auf meiner Reise fast täglich bewältigen müssen. Aber mit zwei anderen Dingen werde ich in den nächsten Tagen auch noch kämpfen müssen. Der Wind, da die Hauptwindrichtung gegen mich gerichtet zu sein scheint und die Hitze der Mittagszeit, die schon am ersten Tag so sehr an meiner Substanz gezehrt hat, dass ich mir fest vornehme in den nächsten Tagen während dieser Zeit mindesten 3 Stunden Pause einzulegen. Der Gegenwind sollte sich in der gesamten nächsten Woche als Hauptproblem herausstellen. Nicht so sehr der physische Kräfteverbrauch macht mir schon in den ersten Tagen zu schaffen, vielmehr die mentale Auswirkung. Bei einem Stundenmittel von 13 bis 14 Kilometer bei heftigem Gegenwind und unerträglicher Hitze ab 10.00 Uhr, lässt meine anfängliche Euphorie doch ziemlich schnell nach. Ich rechne mir aus, dass ich als Jogger wohl nicht viel langsamer wäre. So kann es nicht weitergehen denke ich mir, ohne dass mir eine Lösung so recht einfällt. Was bleibt mir auch anderes übrig, ich radle also weiter. Meine Unsicherheit und Vorsicht, die ich zu Beginn jeder neuen Afrikareise mitbringe, legt sich jedoch schon in den ersten Tagen. Die Menschen hier in Sambia sind so hilfsbereit und nett wie ich es bisher in den afrikanischen Ländern nicht erlebt habe. Bereits am ersten Abend meiner Tour in Kalomo kann ich als Zuhörer bei einer Gesangsprobe teilnehmen. Die Menschen in Sambia gelten als sehr musikalisch und so habe ich auf meiner Tour immer wieder die Gelegenheit mich zu überzeugen, mit wie viel Freude und Begeisterung gemeinsam gesungen wird. Sobald ich Musik aus dem Dorf höre, drehe ich um, radle in das Dorf hinein und höre ihnen zu. Ich habe immer das Gefühl, sie strengen sich ganz besonders an, wenn ich ihren Proben beiwohne. Diese ganz besondere Freude zur Musik, spüre ich auch in Lusaka, als ich dort einen Gottesdienst besuche. Mit voller inbrunst singen die Kirchenmitglieder ihre Gotteslieder. Es ist eine wahre Freude in Sambia an einem Gottesdienst teilzunehmen. Die Menschen begegnen mir im ganzen Land sehr aufgeschlossen und interessiert, natürlich auch etwas verwundert über einen weißen Radfahrer. „We wish you a safe journey“, wünschen mir die meisten beim Abschied.
Bereits schon am zweiten Reisetag habe ich Pech. Beim Herausnehmen meiner Kamera bricht ein Teil des Inneren meines Objektivs und fortan kann ich auf meiner Reise keine Fotos mehr machen. Die einzige Chance hier in Sambia ein Ersatzobjektiv zu bekommen ist in der Hauptstadt Lusaka. Ich hoffe Lusaka in den nächsten zwei Tagen zu erreichen. Beim Versuch das Objektiv zu reparieren, habe ich jedoch mindestens schon eine Stunde verloren, dazu der auffrischende kräftige Gegenwind und die einsetzende Mittagshitze. Vor Frust über mein Missgeschick, beschließe ich gegen meinen erst gestern gefassten Vorsatz über Mittag die verlorene Strecke wieder gutzumachen. Mein Ehrgeiz hat über die Vernunft gesiegt und wieder muss ich hierfür bezahlen. Heute ist mir endgültig klar geworden, dass ich mit meiner Energie besser haushalten muss, will ich mein Ziel in Dar es Salam erreichen. 30 Kilometer vor Choma fährt plötzlich Siyoto mit seinem alten Rad neben mir. Wir unterhalten uns und er erzählt mir, dass er Fotograf sei. Was für ein Glück, denke ich mir und erzähle ihm von meinem Missgeschick mit meiner Kamera. In Choma will er mir einen Fotoshop zeigen, wo ich vielleicht auch ein Objektiv kaufen kann. Doch meine Hoffnungen sind sehr schnell zerstört, als ich den Laden sehe. Der Fotoshop stellt sich als Kopiershop heraus, eine Fotoausrüstung ist hier sicher nicht zu bekommen. Die nächsten zwei Tage bis Lusaka sind geprägt von Hitze, extremen Gegenwind aber auch weiterhin von vielen netten Begegnungen mit den einheimischen Menschen. Meine mitgebrachten Kugelschreiber werden mir regelrecht aus der Hand gerissen. Und wo ich auch auftauche, lenke ich sofort ihre Aufmerksamkeit auf mich. Hier in dieser bevölkerungsreichen Gegend, finde ich auch ohne Probleme geeignete Unterkünfte. Auch einfache Restaurants stehen mir hier noch in großer Zahl zur Verfügung. Eine echte Auswahl an Speisen wird mir jedoch nur selten geboten, denn meist gibt es Hühnchen mit Reis oder Pommes. „We have Chicken and chips – do you like?“ In den nächsten Wochen kann ich die Antwort auf meine Frage was es zu essen gibt, schon bald nicht mehr hören, aber was bleibt mir auch anderes übrig „Yes i like!“. Lusaka bildet in vielen Dingen eine willkommene Ausnahme. Mit zahlreichen Restaurants, Kaffees, Internetbuden und Geschäften macht die Stadt einen sehr urbanen Eindruck. Ich quartiere mich ins Lusaka Hotel inmitten der Stadt ein. In der zentralen Lage glaube ich die größte Sicherheit zu haben, denn am Abend möchte ich nicht mehr in den kleinen Seitenstraßen der Stadt unterwegs sein. Zunächst nutze ich aber die Möglichkeit, mein Postfach im Internet durchzusehen. 13 neue Nachrichten stehen im Posteingang und warten darauf gelesen und beantwortet zu werden. Ich freue mich über jede Einzelne und irgendwie empfinde ich den ständigen Kontakt zu Freunden auch als ein Stück Sicherheit. Aber mir ist es hier in Lusaka natürlich auch wichtig, mein Objektiv auszutauschen und so klappere ich alle Fotogeschäfte der Einkaufsstraße ab. Wenn ich die weitere Reisestrecke bedenke, wird hier wohl die einzige Chance sein, ein neues Objektiv zu bekommen. Am Ende bleibt mir aber nichts anders übrig, als für 200 Dollar das einzige passende Zoomobjektiv für meine Nikon zu kaufen, das ich hier finden kann. Leider bin ich mit der erworbenen Brennweite von 75-240 mm im Weitwinkelbereich sehr stark eingeschränkt. Doch letztlich bin ich froh, überhaupt etwas gefunden zu haben. Und so verabschiede ich mich von Lusaka und vom letzten bisschen Luxus für die nächsten Wochen.
Noch am Nachmittag fahre ich aus der Stadt und verspüre erstmals einen leichten Rückenwind. Doch schon der nächste Tag wird meine Hoffnung wieder begraben, dass sich der Wind zu meinen Gunsten gedreht hat. Bis Kapiri Mposhi ändert sich bei meinem täglichen Kampf gegen Sonne, Wind und dem gefährlichen Verkehr nicht viel. Die vielen Straßenbauarbeiten zwingen mich immer wieder auf Feldstraßen mächtig Staub zu schlucken. Fast täglich messen sich einheimische Jugendliche auf ihren Rädern mit mir. Fahren oft viele Kilometer lang in meinem Windschatten, um dann kurz vor ihrem Ziel betont lässig an mir vorbei zu „fliegen“. Manchmal begegne ich ihnen aber schon nach kurzer Zeit wieder, wenn sie die abgesprungene Kette ihres Rades wieder auflegen müssen. Hin und wieder begleiten sie mich aber auch über 30 oder 40 Kilometer und wir kommen während dieser Zeit ins Gespräch. So erfahre ich auf diesem Wege viel von ihrem Leben. Je weiter ich mich von Lusaka entferne, umso schwieriger wird es Essen und Unterkunft zu bekommen. Meist sind es Guest- oder Resthäuser, in denen ich als einziger Weißer absteige. Die Zimmer sind sehr spartanisch eingerichtet und werden gen Nordwesten des Landes immer einfacher in der Ausstattung. Die Anlagen selbst, sind meistens bewacht und ich kann dort auch häufig etwas zu essen bekommen. Im Norden ist der Verkehr praktisch völlig erlahmt und viele Menschen nutzen die Straßen als Teil ihres Lebensraumes. So treffe ich nicht nur spielende Kinder auf den Straßen, ganze Familien sitzen auf der Asphaltfläche, essen und unterhalten sich.
An meinem achten Reisetag komme ich am späten Nachmittag nach Kanona. Dort steht ein Guesthouse direkt am Wegesrand. Nachdem ich mich im Dorfladen mit einigen Flaschen Bier für den Abend versorgt habe, treffe ich den Besitzer der Unterkunft. Wie immer werde ich freundlich aufgenommen. Hier in Kanona gibt es für die meisten Häuser weder Strom noch fließend Wasser. Einige Häuser haben einen Generator, aber der ist bei meinem Gastgeber schon sehr lange defekt. Wasserleitungen und Waschbecken sind zwar vorhanden, aber nachdem der Hausherr seine Rechnungen nicht mehr bezahlen konnte, wurde die Wasserversorgung kurzerhand abgestellt. So wird mir eine Wanne voller warmes Wasser gereicht und zwei Kerzen für den Abend zur Verfügung gestellt. Ab 18.00 Uhr bricht sehr plötzlich und ohne lange Dämmerungsphase die Nacht ein. Mein Vermieter, dessen einziger Gast heute wohl nur ich bin, tappt in völliger Dunkelheit durch das Haus. Ich trete ihm eine meiner beiden Kerzen wieder ab, so dass er sich wenigstens waschen kann und noch ein wenig Licht vor dem Schlafengehen hat. Auch ich gehe in diesen Tagen sehr früh zu Bett, notgedrungen, denn nach Einbruch der Dunkelheit kann ich nicht mehr viel tun und meist habe ich auch noch einen knurrenden Magen. Am nächsten Morgen fahre ich per Rad mit den Söhnen des Hauses zu einem nahe gelegenen Wasserfall, wofür ich 40 Kilometer staubiger Piste in Kauf nehme. Hier in Kanona ist dieser Wasserfall eine echte Attraktion, aber er ist natürlich überhaupt kein Vergleich zu den bekannten Victoriafällen. Aber niemand den ich hier frage, hat jemals in seinem Leben dieses großartige Naturschauspiel in ihrem eigenen Land gesehen und die wenigsten werden es wohl jemals sehen.
Auch am nächsten Tag gibt es für mich nichts Vernünftiges zu Essen. Ich muss mich jetzt auf meine getrockneten Früchte, die ich als Notration mitgebracht habe und den Keksen, die ich hier überall kaufen kann, beschränken. Auch wenn heute mein hilfsbereiter Hausherr die Nachbarn noch bittet ein Huhn für mich zu schlachten, es wird nichts mehr daraus. Ich frage ihn, ob er ein Bier hätte. Doch nachdem im ganzen Dorf auch kein Bier zu bekommen ist, schickt er kurz entschlossen einen Boten mit dem Rad ein Dorf weiter und schon eine Stunde später steht dieser mit einigen Flaschen Castele Bier vor mir. Ich teile sie mit ihm, um seine Dienste zu entlohnen und auch mein Gastgeber bekommt etwas ab. So haben wir an diesem Abend noch eine sehr gesellige Runde.
Wie immer geht’s am nächsten Morgen schon sehr früh aus den Federn und mittlerweile spüre ich auf meinem Drahtesel auch schon alle Knochen. Mein Nacken ist verspannt und ich habe massive Probleme an einem Finger der rechten Hand und an einem Zeh meines rechten Fußes. Ich verspüre an beiden Stellen eine Taubheit und ein Kribbeln, so dass ich vermute einen Nerv eingeklemmt oder gereizt zu haben. Trotz intensiver Bemühungen durch regelmäßige Bewegung der Finger und Zehen die Durchblutung wieder anzuregen, werde ich dieses Gefühl der Taubheit auch in den nächsten Wochen nicht los. Nach wie vor kämpfe ich jetzt jede Stunde des Tages gegen den anhaltenden Gegenwind, der mir an manchen Tagen ein klägliches Stundenmittel von weniger als 15 Kilometer beschert. Es gibt mittlerweile fast keinen Tag mehr, an denen mir keine Selbstzweifel über den Sinn dieses Unterfangens kommen, denn wenn ich selbst bei den Abfahrten aus dem Sattel gehen muss um Tempo zu machen, möchte ich am liebsten alles hin schmeißen. Aber was kommt danach? Mit dem Bus oder der Eisenbahn weiterfahren? Nein, in solchen Momenten motiviere ich mich immer wieder selbst und fahre weiter, Kilometer für Kilometer, Stunde um Stunde, Tag für Tag.
Kurz vor der Grenze nach Tansania komme ich nach Isoka. Auch dort gibt es ein Guesthouse, einen kleinen Markt mit Obst und Gemüse und ein Restaurant mit Biergarten. Ich fühle mich schon fast wie Zuhause in Bayern. Ein echter Biergarten. Nur die Getränkeauswahl im „beer garden“ ist mit unserer in Bayern nicht vergleichbar. Bier ist ausgegangen, Cola, Fanta, Wasser und sonstige Softdrinks sind auch nicht mehr erhältlich. Jetzt weiß ich zumindest warum die jungen Leute alle ohne Getränke am Tisch sitzen. „If you like, we have Puschkin“. Mir wird also an einem heißen Tag in einem Biergarten in Afrika als einziges Geträk Puschkin angeboten. „No, thanks“, ich lehne dankend ab. Auch mit dem Restaurant nebenan habe ich keine gute Wahl getroffen. Das Huhn und die Pommes, die mir in einem Blechnapf serviert werden, sind nicht mal den einen Euro wert, der mir umgerechnet in Rechnung gestellt wird. Ich lasse das Essen als ungenießbar zurückgehen und mache mich wieder auf den Weg zurück in mein Zimmer. Um 19.00 Uhr, als es schon dunkel geworden ist, klopft es lautstark an der Tür. Zwei bullige Dorfbewohner stehen vor mir und halten mir ihren alten, schäbigen Ausweis unter die Nase, der sie als Mitarbeiter des Immigration Office ausweist. Mein nächster Blick geht an den Boden, wo einer der Männer seinen Fuß zielstrebig in den Türspalt stellt und mich anschließend auffordert ihm meine Aufenthaltsgenehmigung vorzuzeigen. Wir einigen uns darauf, dass ich kurzzeitig die Tür wieder verschließen kann und ich hole sogleich meinen Pass mit dem gültigen Visum. Mir hat das Auftreten dieser Männer allerdings gehörig Angst eingejagt und nur mit sehr mulmigem Gefühl öffne ich abermals die Tür. Auch jetzt setzt mein Gesprächspartner sofort wieder seinen Fuß in die Tür. Ich zeige ihm mein Visum ohne den Pass aus der Hand zu geben. Doch damit gibt er sich nicht mehr zufrieden. Als nächstes will er Auskunft über meine Reiseplanung, meine gemachten Dias und den Inhalt meines Gepäckes. Auch damit ist immer noch nicht genug und so fordert er mich auf, ihm das gesamte Reisegepäck zu zeigen. Das geht mir jetzt nun doch zu weit. In einem kurzen Augenblick seiner Unaufmerksamkeit schiebe ich ihn aus der Tür und sperre in der gleichen Sekunde ab. Mit vehementem klopfen an die Tür fordert er Einlass und droht mit der Polizei und meinem anschließenden Arrest, falls ich dazu nicht bereit wäre. Ich halte die Tür verschlossen, auch wenn mir bewusst ist, dass die Tür einem kräftigen Tritt wohl nicht standhalten wird. Mittlerweile habe ich das Gefühl, die Lage ist für mich ziemlich bedrohlich geworden. Durch mein Fenster sehe ich die beiden Männer verschwinden um 30 Minuten später wieder vor meiner Tür zu stehen. Diesmal ist ein Dritter dabei, der sich als örtlicher Polizist ausgibt. Durch das Fenster an dem zu meinem Glück ein Schutzgitter angebracht ist, versuche ich dem selbsternannten „Polizisten“ die Situation zu erklären. Er macht auf mich im Gegensatz zu den beiden anderen einen vertrauen erweckenden Eindruck. Nach einer anschließend langen und sehr angeregt geführten Diskussion der Drei hat sich die Lage anscheinend entspannt. Die beiden Männer ziehen ab und der Polizist erklärt mir die Sache sei erledigt. Auf meine Bitte bleibt er noch eine Weile hier und verspricht mir, auch morgen früh zu meiner Abfahrt um 6.00 Uhr wieder hier zu sein. In der kommenden Nacht mache ich kaum ein Auge zu, da ich mir eines nächtlichen Besuches der beiden nicht sicher bin. Bereits um 5.00 Uhr packe ich meine Sachen zusammen und noch lange bevor die Sonne aufgeht bin ich auf meinem Rad in Richtung Tansania unterwegs. Zum ersten und einzigen Mal auf meiner Reise fühlte ich mich wegen meiner weißen Hautfarbe bedroht. Jedoch soll dieser Vorgang meine durchweg positiven Eindrücke von den Menschen Sambias nicht schmälern. Der nächste Reisetag auf dem Fahrrad fällt mir nicht nur wegen der kurzen Nacht sehr schwer, ich habe zum ersten Mal seit meiner Ankunft auch mit „Montezumas Rache“ zu kämpfen. Und so werfe ich an meinem letzten Tag in Sambia mein Fahrrad 4mal in größter Eile in den Straßenrand und flüchte ins Gebüsch. Für diese Notfälle habe ich meine Loperamid Tabletten mitgenommen, die mir dann auch während des Tages weiterhelfen. Diese letzte Etappe in Sambia ist noch mit vielen kleinen Steigungen versehen, doch endlich verspüre ich einen kräftigen Rückenwind, der mich schnell vorankommen lässt. Nach ca. 100 Tageskilometern stehe ich an der Grenze nach Tansania und kann der Versuchung nicht widerstehen, in das Land noch am selben Tag einzureisen. Über 1500 Kilometer habe ich bereits durch Sambia zurückgelegt und kann heute einen ersten Teilerfolg verbuchen. Ich bin in Tansania angekommen. Auch wenn die Menschen hier ebenfalls sehr freundlich auf mich wirken, stelle ich zu meinem Leidwesen schon am ersten Tag fest, dass Englisch nicht von allen gesprochen wird. Die Menschen sind stolz auf ihr Kiswahile und so ist für mich der Kontakt schwerer herzustellen als noch in Sambia.
Bei meinem ersten Reisetag in Tansania machen mir auf den 75 Kilometern nach Mbeya nicht nur die vielen Baustellen zu schaffen, auch der Wind ist zurück und bläst mir wieder mit voller Wucht ins Gesicht. In mein Tagebuch schreibe ich an diesem Tag: „Diese Strecke ist mit die schwerste, die ich je geradelt bin. Sogar bergab komme ich nur auf einen Schnitt von 13 Kilometer in der Stunde“. Aber nicht nur der starke Wind macht mir wieder zu schaffen, mein Vorderreifen ist völlig abgefahren und an der Seite des Mantels zeigen sich einige bedenkliche Risse. In meinem Gepäck habe ich zwar einen Ersatzmantel mitgenommen, der ist allerdings mit Stollen versehen und hat somit einen sehr viel unruhigeren Lauf. In Mbeya treffe ich Patrick und Simon. Sie sind beide aus Malawi und verdienen sich ihren spärlichen Lebensunterhalt mit Touristenführungen an den Malawi See oder den Bergwanderungen rund um die Stadt. Sie helfen mir bei der Hotelsuche, begleiten mich zur Bank, zeigen mir ein Internetcafé und kennen den am besten sortierten Fahrradhändler der Stadt. Für umgerechnet sieben Euro bekomme ich einen neuen Reifen inklusive Montage. Ich lade sie am Abend zum Essen ein – es gibt wie so oft auf meiner Reise Hähnchen und Pommes. Tagsüber wird es wieder sehr heiß auf der flachen Etappe, bevor es ab Makumbako in die Berge geht. Bis dahin stehen mir allerdings noch 172 Kilometer bevor. Diese Strecke zwischen Mbeya und Makumbako wird meine längste Einzeletappe auf der gesamten Reise. Am nächsten Morgen geht’s nach Sao Hill und wie der Name schon vermuten lässt, auch in die Berge von Tansania. Als ich am frühen Nachmittag dort ankomme, sehe ich allerdings nur einige wenige Lehmhütten. Von einem Dorf ist weit und breit nichts zu sehen. Nach meiner Straßenkarte müsste Sao Hill schon mindestens 10 Kilometer hinter mir liegen und die nächste Siedlung viel zu weit entfernt, als dass ich die Strecke heute noch in Angriff nehmen sollte. Ich frage die Bewohner der Häuser nach dem Dorf Sao Hill oder einem möglichen Guesthouse. Die Kommunikation in Englisch ist zwar ungeheuer schwierig, aber sie geben mir zu verstehen, dass sich hier die einzige Unterkunft weit und breit befindet. Auch wenn ich es mir nicht so recht vorstellen kann, am Dorf vorbei gekommen zu sein ohne das ich davon Notiz genommen habe, entscheide ich mich spontan dafür hier zu übernachten. Auf meinem Weg durch die Straßen der Siedlung begleiten mich die Kinder auf Schritt und Tritt. Im Zimmer stehen lediglich ein Bett und ein alter Schrank. Nachdem ich meinen Schlafsack ausgerollt habe und das Moskitonetz über dem Bett befestigt ist, lege ich mich aufs Ohr. Es klopft an die Tür. Ich bin vorsichtig geworden und frage ohne die Tür zu öffnen was denn los sei. Meine Vermieterin bittet mich um ein Gespräch mit zwei Dorfbewohnern. Ich öffne die Tür und sehe beide Männer mittleren Alters vor mit stehen. Beide machen auf mich einen harmlosen, eher unscheinbaren Eindruck. Nachdem wir im Nachbarhaus ungestört miteinander reden können, schildern mir beide Männer in ihrem gebrochenen Englisch ihr Leid. Die harte Feldarbeit auf den ausgetrockneten Böden macht es für sie kaum möglich ihre Familie zu ernähren. Einige Familienmitglieder sind krank und Medikamente sind sehr schwer zu bekommen. Nicht umsonst liegt die Lebenserwartung dieser Menschen bei unter 50 Jahre. Ich drücke jedem der beiden ein paar Geldscheine in die Hand und gehe zurück auf mein Zimmer. Mehr kann ich für sie leider nicht tun. Für morgen muss ich allerdings noch meine Trinkflaschen auffüllen und so schaue ich im einzigen Lebensmittelladen vorbei. Als ich reinkomme, traue ich meinen Augen nicht. Einige Dorfbewohner sitzen im Geschäft und sehen sich im Fernseher ein Fußballspiel an. Noch mehr überrascht bin ich, als ich die Spielpaarung Bayern München gegen den VfB Stuttgart erkenne. Das Spiel mit der anschließenden Übergabe der Meisterschale wird live auf BBC World übertragen. Kaum zu fassen, mitten in Afrika sitze ich hier und sehe mir live ein Spiel aus der Bundesliga an. Jetzt ist es plötzlich leicht geworden den Menschen zu erklären woher ich komme. Doch München ist für sie sicherlich genauso weit weg wie der Mond.
Als ich am nächsten Morgen die kleine Siedlung verlasse, erwartet mich nach weiteren rund 5 Kilometer die nächste große Überraschung - Sao Hill. Wäre ich am Abend vorher nur wenige Kilometer weiter gefahren, hätte ich ein Hotel und etwas zu essen bekommen. Dafür hätte ich wohl nicht überraschender Weise ein Bundesligaspiel mit verfolgen können. Jede Medaille hat immer zwei Seiten. Was mir jedoch unklar bleiben wird, ist die Tatsache, warum mir niemand mitgeteilt hat, dass ich nur ein Stück weiterfahren muss, um ins Dorf zu gelangen. Manches wird sich wohl nie erklären lassen.
Auf meinen Bergetappen bis Iringa komme ich gut voran. Auch wenn Iringa sonst nicht viel zu bieten hat, macht sich hier doch ein wenig Tourismus breit und ich bekomme in der Stadt ein hervorragendes Steak serviert. Meine Vorfreude von Iringa aus nur noch leichte Etappen bergab nach Dar es Salam zu haben, wird jedoch schon am nächsten Tag getrübt. Katastrophale Straßen und der wieder auffrischende Gegenwind machen die Tagestouren erneut zur Schinderei. Ich fahre durch Baobab Valley. Diese Tal mit hunderten an Wasser speichernden Affenbrotbäume, wie die Baobab auch bezeichnet werden, geben ein unvergleichliches Panorama ab. Baobab Bäume gehören mit den Schirmakazien zu den charakteristischen Baumarten in Afrika. Diese Bäume mit ihren mächtigen Stämmen speichern bis zu 140 000 Liter Wasser und sind damit wichtiger Wasserspender und auch Rohstofflieferant für die Menschen.
Hier in diesem Tal ist einer der wenigen aber dafür wunderschön gelegenen Campingplätze. Außer mir campieren hier nur noch wenige Gäste einer Safari. Ich stelle mein kleines Zelt zwischen zwei Baobab Bäumen auf. Wie winzig es dazwischen aussieht. Bob, der Chef der Anlage, kommt aus Ägypten und macht den Job hier nur zur Überbrückung, bis er etwas Neues gefunden hat, wie er mir sagt. Ich frage ihn, ob er mir etwas zu essen machen kann. Ich befürchte schon, es wird wieder das Standardgericht Afrikas sein, Hähnchen und Pommes. Doch weit gefehlt, denn die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen – „Yes, Spagetti“. Hervorragend, es wird meine größte Portion Spagetti, an die ich mich jemals erinnern kann. Als ich meine weiteren Reisepläne hier in Afrika mit ihm bespreche, rät er mir zur Vorsicht. „In Ägypten schneiden sie dir wegen 5 Dollar die Kehle durch“, erklärt er mir seine skeptische Haltung gegenüber seinen eigenen Landsleuten. Aber er sollte es eigentlich am besten wissen. Zum Glück ist Ägypten in meiner Planung zu diesem Zeitpunkt noch ein fernes Ziel. Als ich mich am nächsten Morgen von ihm verabschiede, empfiehlt er mir noch ein Restaurant eines Bekannten aus der Schweiz kurz vor dem Mikumi Nationalpark, das Tan-Swiss Restaurant. Bereits am Nachmittag komme ich daran vorbei und lasse mir gleich die einzige Flasche Weißwein, die in der Mittagssonne auf dem Tresen steht, für den Abend kaltstellen. Was für ein Glück, denke ich mir. Wäre ich erst am Abend vorbeigekommen, hätte ich wohl nur Glühwein bekommen. Acht US Dollar kostet die Flasche. Für afrikanische Verhältnisse ein stolzer Preis, aber schon das Beobachten des Kellners beim Öffnen des Weines macht den Preis wieder wett. Denn der ist mit der Technik des Öffnens der Weinflasche völlig überfordert und bricht nach mehreren Versuchen den einzigen Weinöffner des Lokals entzwei. Genau das habe ich kommen sehen, doch meine angebotene Hilfe wollte er nicht annehmen. Und gegenüber den anderen Gästen wollte er auch nicht inkompetent wirken. Doch jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als den Kork in die Flasche zu drücken. Ich erinnere mich zurück an meine erste Afrikareise, an Lipho den Kellner in Stanger. Auch er hatte uns damals eine unfreiwillige Slapstick Einlage beim Öffnen des Weines geboten. Wein öffnen scheint nicht Teil der Ausbildung afrikanischer Kellner zu sein. Doch die hervorragende Qualität des Essens bleibt mir sicher in guter Erinnerung.
Am 23. Reisetag bin ich mit meinem Rad am Ziel in Dar es Salam angekommen. Hinter mir liegt eine Strecke über 2700 Kilometer und sicherlich die schwerste Radtour, die ich bisher unternommen habe. Wie immer stellt sich am Ziel meiner Reise ein unbeschreibliches Glücksgefühl ein, auch wenn die Stadt keinen touristischen Höhepunkt darstellt. Vor meinem Rückflug jedenfalls habe ich noch eine Woche Zeit mit der Fähre nach Sansibar überzusetzen und mir die Insel mit dem viel versprechenden Namen anzusehen. 1890 errichtete England ein Protektorat über Sansibar. Für dessen Anerkennung erhielt das Deutsche Reich Helgoland von den Briten. Die überwiegend moslemischen Einwohner sind in ihrer Art ganz anders als die Menschen des Festlandes in Tansania. Allen gemein ist allerdings ihre Freundlichkeit gegenüber den fremden Besuchern. Ob in der Hauptstadt Stonetown oder entlang den traumhaften Stränden, überall fühle ich mich sicher und bekomme die Herzlichkeit der Einwohner zu spüren und sehe abwechslungsreiche Natur. Einzig die Tatsache, dass die Regenzeit noch nicht vorüber ist, und sich deshalb jeden Tag zum Teil heftiger Regen einstellt, macht die Tagestouren auf meinem Rad etwas beschwerlich. Zur Not greife ich auf die offenen Sammelbusse zurück, die hier Daladalas genannt werden. Mein Rad wird kurzerhand auf das Dach befördert und ich klemme mich zwischen die Menschen auf der überfüllten Transportfläche. Diese Transportmittel sind ideale Möglichkeiten mit den Einheimischen in Kontakt zu treten. Man sollte allerdings die Daladalas nur nutzen, wenn man etwas mitbringt, das alle Menschen hier in Afrika im Überfluss haben – sehr viel Zeit.
Ganze 6 Jahre nach dieser Etappe plane ich meine nächste Tour. So lange hat es diesmal gedauert, bis ich mich wieder für eine Reise an die Grenze meiner mentalen Leistungsbereitschaft wage. Robert Mugabe, inzwischen 85 Jahre alt geworden, ist immer noch Diktator, pardon Präsident, des demokratischen Simbabwes. Und das trotz einer klaren Wahlniederlage seiner letzten Wahl. Aber was heißt das schon, für ihn jedenfalls nicht sehr viel. Sein Herausforderer Morgan Tsvangirai wurden einfach einige Zugeständnisse und das Mitregieren versprochen. Dass Tsvangirai kurze Zeit später einen schweren Verkehrsunfall hatte, bei dem er nur knapp dem Tode entging und seine Frau dabei starb, mag Zufall sein, doch daran glauben wohl die Wenigsten. Dass in „seinem“ Land Simbabwe zu jener Zeit eine verheerende Hungersnot und eine Cholera Epidemie herrschte, störte ihn wenig. Er gab dafür einfach Amerika die Schuld und verabschiedete sich erst mal in den Urlaub. Am 20. März 2009 stand in der Augsburger Allgemeine ein Artikel mit folgendem Inhalt:
„… Die Cholera-Epidemie ist die nächste Katastrophe, die den Krisenstaat Simbabwe überrollt. Die einstige Kornkammer Afrikas ist ökonomisch ruiniert, die Menschen hungern – vom politischen Terror einmal ganz abgesehen. Ihrem Machthaber Robert Mugabe ist das egal. „Simbabwe gehört mir“, hat er erst vor kurzem wieder betont. Und dann seinen 85. Geburtstag mit einer riesigen Party gefeiert: mit Hummer und Kaviar, Champagner und einer 85 Kilo schweren Torte. Die Kosten: 200.000 Euro.
Ein Lehrer hat in den vergangenen Wochen umgerechnet drei US-Dollar im Monat verdient. Das reicht nicht einmal, um mit dem Bus zur Arbeit zu fahren. Ähnlich die Ärzte, die Schwestern, die Beamten. … Die Landeswährung ist nichts mehr wert, die Billionenscheine liegen auf der Straße, ohne dass sich jemand danach bückt…“
Das sind bedrückende Meldungen, aber mich zieht es auf den Kilimanjaro.