Auf der Autobahn fahren wir mit unseren Rädern vom Flughafen ins Zentrum von Kapstadt. Hier auf der Standspur herrscht betriebsame Hektik und sowohl Fußgänger als auch Fahrradfahrer nutzen den Seitenstreifen zur schnelleren Fortbewegung. So machen wir uns zunächst überhaupt keine Gedanken darüber, dass wir auf der Autobahn mit unseren Rädern unterwegs sind und ob wir auf dieser Straße überhaupt fahren dürfen. Doch je länger die Fahrt in die Innenstadt wird, desto weniger Menschen sind auf diese Spur unterwegs. Noch kommen wir hier schnell voran, doch kritisch, ja sogar tollkühn und lebensgefährlich, wird die Lage erst, als wir plötzlich keine Standspur mehr zur Verfügung haben und die Laster und PKWs nur um Haaresbreite an uns vorbeidonnern. Besonders die Ein- und Ausfahrten sind hier extrem gefährlich und wir müssen höllisch aufpassen, nicht schon am ersten Tag überrollt zu werden. Ein LKW hält unmittelbar vor uns. „You must be crazy“ stellt der Fahrer unmissverständlich fest, was er von unserer Aktion hält und ohne eine Reaktion von uns abzuwarten, hievt er unsere Räder auf die Ladefläche seines Fahrzeuges. Wir klettern ebenfalls auf der Ladefläche und sind auf der Weiterfahrt reichlich bemüht Halt zu finden. Mit einer Hand halten wir unser Rad fest, mit der anderen versuchen wir uns an der Bordwand festzukrallen, um nicht von der Ladefläche zu fallen. Bei jeder Bremsbewegung und in jeder Kurve haben wir Angst das Gleichgewicht zu verlieren, wenn wir nicht richtig ausbalancieren. Wir erleben somit unser erstes unfreiwilliges Abenteuer noch bevor wir den Ausgangspunkt unserer Reise erreicht haben. Welche Art der Fortbewegung für uns letztlich gefährlicher war, vermöge ich, nachdem wir glücklich und unfallfrei angekommen sind, nicht zu sagen. Wir sind jedenfalls sichtlich erleichtert, nun endlich im Zentrum Kapstadts angekommen zu sein. Aber schon in den ersten Tagen am Kap der guten Hoffnung stellen wir fest, dass hier ein orkanartiger Sturm bläst. Uns wird sehr schnell klar, warum dieses Kap auch als Kap der Stürme bezeichnet wird. „Mit Rückenwind würde uns der Wind unseren Start ziemlich erleichtern“, spreche ich aus, was auch Peter sicherlich denkt. „Doch was machen wir, wenn wir dagegen anradeln müssen?“. Mit dieser Frage von ihm möchte ich mich gar nicht erst beschäftigen. „Wir denken positiv“, stelle ich fest und versuche damit etwas Optimismus zu verbreiten.
Die ersten Kontakte zu den Kapstädtern sind sehr herzlich. Wir treffen Alex aus Deutschland abends an einer Bar und erzählen ihm von unserem tollkühnen Vorhaben. Er ist sichtlich beeindruckt davon. „Die Küste entlang der berühmten Garden Route bis nach Durban ist eines der schönsten Gebiete in Südafrika und ist daher bestens geeignet für unseren Plan“, bestätigt er uns. Nur das Gebiet der Transkei zwischen East London und Port Shepstone sollen wir seiner Meinung nach meiden. „Da kommt ihr nicht lebend durch“ prophezeit er uns. Das klingt für unsere Ohren aber nicht sehr vielversprechend. Alex kennt sich in Südafrika bestens aus, sagt er uns und will sich hier im nördlichen Krüger Nationalpark in den Semesterferien nützlich machen und als Touristenführer etwas hinzu verdienen. Als er uns aber erzählt, dass er selbst den Krüger Nationalpark vorher noch nie besucht hat, müssen wir über sein Vorhaben doch etwas schmunzeln. „Ich denke mit der Führung von Touristen wird er nicht viel zu tun haben“, spricht Peter auf dem Heimweg aus, was auch ich mir denke. Aber das soll ja nicht unser Problem sein. Wir müssen uns überlegen, wie wir um die Transkei herumkommen, da dieses Gebiet nach unseren mitgebrachten Karten nur sehr weiträumig zu umfahren ist. Wir werden die Antwort auf diese Frage aber auf später verschieben können. Falls wir es bis nach Durban schaffen, wollen wir dann mit dem Bus nach Johannesburg fahren, da unsere Rückflugtickets von dort ausgestellt sind.
Am nächsten Tag nehmen wir uns eine kleine Tagestour in Kapstadt und zur Kap Halbinsel vor, um für den Start am nächsten Tag gut vorbereitet zu sein. Mit dem Signal Hill planen wir auch eine kleine Bergetappe mit ein. Die Kap Region im Hinterland von Kapstadt mit seinen Weinanbaugebieten, bildet eine idyllische Landschaft und darf mit der Küstenstraße entlang zum Kap der Guten Hoffnung und den Traumstränden an den Küsten wohl zu den schönsten Gebieten auf unserer Erde gezählt werden. Wir sind beeindruckt mit dem Fahrrad dieses Stück Natur erleben zu dürfen. Auch die Fahrt hoch zum Signal Hill mit einem atemberaubenden Blick auf den Tafelberg und auf die Stadt sollte nicht verpasst werden. Doch Peter hat seine liebe Mühe auf den Berg zu kommen. Das liegt allerdings nicht an der mangelnden Kondition, sondern vielmehr an seinem Fahrrad. Ihm fehlt schlicht eine niedrige Übersetzung. So muss er für den herrlichen Ausblick mit einigen zusätzlichen Strapazen und Schweißtropfen bezahlen. Dieser erste Ausflug und am Ende auch etwas Glück, bewegen ihn dann doch noch in Kapstadt sein geliebtes Fahrrad mit etwas Aufpreis gegen ein neues GIANT-Mountainbike einzutauschen. Denn zunächst wollte er in einem Fahrradgeschäft, an dem wir zufällig vorbeifahren, nur den Zahnkranz an seinem Hinterrad wechseln, um für die Berge besser gerüstet zu sein. Doch nachdem wir das Fahrradgeschäft ohne neuen Zahnkranz und ohne neues Fahrrad gerade wieder verlassen haben, kehren wir wegen unserem bereits vierten Platten, den wir in nur zwei Tagen hatten, noch einmal zurück. Und noch bevor Peter den Plattfuß im Laden geflickt hatte, stand sein Entschluss fest: „Ich kaufe ein neues Mountainbike und lasse mein Fahrrad hier“. Mit einem neuem Fahrrad geht es somit auf unsere erste Etappe. Zur Sicherheit lässt sich Peter aber noch die Kontaktadresse des Ladenbesitzers geben und verspricht ihm sein gerade erst verkauftes Fahrrad wieder zurück zu kaufen, sobald er Zuhause in Deutschland ist. Für dieses Versprechen bekommt er vom Besitzer nur ein ungläubiges Lächeln. Wer soll schon aus Südafrika ein altes Fahrrad mit sehr viel Aufwand zurückkaufen, denkt er sich wohl. Dass Peter sein Versprechen später, als wir zurück in Deutschland sind, auch einlösen wird, konnte er sich zu diesem Zeitpunkt kaum vorstellen.
Wir verlassen Kapstadt und müssen sehr schnell feststellen, dass sich der Wind gegen uns entschieden hat. Wir lassen gerade die letzten Häuser der Stadt hinter uns, als der Wind plötzlich mit voller Wucht auffrischt und die Weiterfahrt von uns beiden jäh stoppt. Der Wind bläst uns mit einer Stärke, ins Gesicht, die eine Weiterfahrt auf dem Rad einfach unmöglich macht. Als wir absteigen, bemerken wir auch noch einen weiteren Plattfuß an Peters Rad. Unsere erste Euphorie und die Freude auf unsere erste Etappe sind bereits nach kürzester Zeit verschwunden. Der fünfte Plattfuß noch bevor es richtig losgeht und ein orkanartiger Gegenwind, schlimmer konnte unsere Tour einfach nicht beginnen. „Ich glaube wir sind beim Schieben schneller, als auf dem Rad“, stelle ich fest und nachdem der Schlauch schnell ausgetauscht ist, schieben wir gegen den von uns nun zum Feind erklärten Wind an. Nach einer Weile hält vor uns ein Pick-Up. Kopfschüttelnd und etwas mitleidig frägt der Fahrer uns, ob wir ein paar Kilometer mitfahren wollen: „May i give you a lift?“. Ohne unsere Antwort abzuwarten, nimmt er die Räder auf seine Ladefläche und wir sitzen im Fahrerhaus. Uns ist spätestens jetzt klar geworden, dass wir auf diese Art nicht weitermachen können. Wenn der Wind nicht dreht oder abflaut, können wir unser Vorhaben vergessen. Unser Plan ist schon am ersten Tag zum Scheitern verurteilt. Die nächsten zwei Tage schleppen wir uns mühselig durch und erleben einen ersten Höhepunkt am vierten Tag, als wir nach über 350 Kilometer auf Mossel Bay hinab blicken und erstmals wieder den Indischen Ozean vor uns sehen. Spätestens jetzt sind wir an der Garden Route angekommen und in uns keimt Optimismus auf. Es ist ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Die Gegend zwischen Mossel Bay und Oudtshoorn ist für Südafrikas Straußenzucht bekannt, wobei Oudtshoorn das Zentrum für südafrikanische Straußenzucht darstellt. Straußenzüchter laden uns hier mehrmals zur Besichtigung ihrer Farm ein, viele bieten uns ein Nachtquartier an oder geben uns nützliche Adressen für unsere weitere Reise. Doch einen längeren Aufenthalt während unserer Tour, sieht unser enger Terminplan eigentlich nicht vor. Deshalb geht es auch nach dem Ende jeder Besichtigung der Farmen weiter Richtung Norden. Die nächsten Tage entlang der Küste kämpfen wir stundenlang auf dem Rad gegen den Wind an. Am Ende des Tages müssen wir dann doch wieder feststellen, dass wir unsere einkalkulierten 100 Kilometer Tagespensum nicht erreichen konnten. Aber wir fahren entlang der Küste und können uns an den vielen spektakulären Ausblicken erfreuen. Die erste Woche war sehr mühselig und ich frage mich, wie lange es noch dauern wird, bis Peter mir die idiotische Idee dieser Radreise vorhält und frustriert aussteigt. Doch daran denkt er keine Sekunde, ganz im Gegenteil. Je mehr der Wind uns ins Gesicht bläst, umso mehr Ehrgeiz entwickeln wir beide. Wir wechseln uns in der Führungsarbeit ab, um am Hinterrad des anderen unsere eigenen Kräfte zu sparen. Nach einigen Tagen kommt jedoch erschwerend hinzu, dass Peter mit einem starken Sonnenbrand zu kämpfen hat und ihm sein neuer Fahrradsattel doch einige Mühe beim Sitzen bereitet. Wir fahren die Küste entlang durch Wilderness und Plettenberg Bay. „Gott hat sich mehr Zeit gelassen als er Plettenberg Bay geformt hat“, lese ich auf dem Ortsschild. Inmitten der Garden Route bietet sich uns eine wunderschöne Gegend, doch wir können die Landschaft nicht in vollem Umfang genießen. Dazu quälen wir uns zu sehr die Berge hoch. Als wir in Plettenberg Bay ankommen, haben wir schon viel Moral auf der Strecke gelassen. Doch glücklicherweise hat sich an diesem Tag der Wind gedreht und wir können die nächsten Tage mit kräftiger Windunterstützung unsere Tagesstrecken auf 140 Kilometer und mehr ausdehnen. Die teilweise extremen Steigungen haben wir so nahe am Meer allerdings nicht erwartet. In der Mittagshitze und bei vollem Gepäck von über 25 Kilogramm werden diese kleinen, kurzen aber giftigen Anstiege zu einer wahren Bergprüfung. Wir entschließen uns dazu, jeden Tag eine Mittagspause von drei Stunden einzulegen, um die heißeste Zeit des Tages auf dem Rad zu vermeiden. Peter hatte jetzt schon mehrfach einen Sonnenbrand und kämpft auch noch mit Durchblutungsstörungen seiner Handinnenflächen. An seinem neuen Rad sind keine Hörner am Lenker angebracht, wie ich sie habe. Dadurch kann er auf der Strecke und am Berg auch nicht umgreifen. Nachdem wir schon über 1000 Kilometer unterwegs sind, wirken sich plötzlich auch solche Kleinigkeiten negativ aus. Selbst noch lange Zeit später, als wir längst wieder Zuhause sind, war dieses Gefühl der Taubheit bei ihm immer noch zu spüren. Es hatte noch einige Monate in Deutschland gedauert, bis es sich wieder gebessert hat. Ich habe auf der letzten Tagesetappe etwas in mein Auge bekommen. Zum Glück bekomme ich hier in Plettenberg Bay aus einer Apotheke Augentropfen, die mir hoffentlich Linderung verschaffen.
Auf der weiteren Fahrt entlang der Küste haben wir immer wieder interessante Begegnungen mit den Südafrikanern. Bei jedem Stopp scharen sich die Menschen um uns und überschütten uns mit Fragen. Die Frage nach dem Tour-Start fehlt dabei nie und die Antwort darauf löst mit jedem gefahrenen Kilometer auch immer mehr Bewunderung bei den Menschen aus. Bei vielen persönlichen Kontakten zur Bevölkerung bekommen wir Adressen in die Hand gedrückt. „Wenn ihr in diese oder jene Stadt kommt, meldet euch bei meinen Bekannten“, werden wir immer wieder aufgefordert. Doch diese Art zu Reisen haben wir uns nicht vorgestellt. Wir wollen uns einfach treiben lassen und freuen uns über die Zufallsbegegnungen mit den Menschen. In Port Elisabeth machen wir eine Ausnahme und suchen eine Adresse auf, wo wir wie überall ganz herzlich empfangen wurden. Wir lassen uns überreden in Port Elisabeth einen freien Tag einzulegen und landen am nächsten Tag wegen einer Einladung auf einem der vielen Schlepperboote, die speziell ausgebildete Hafenkapitäne an Bord der riesigen Frachter bringen, von wo sie die Steuerung der Schiffe übernehmen, um sie sicher in den Hafen zu bringen. Wir bleiben auf dem Boot mehrere Stunden und lernen so den Hafen von Port Elisabeth von allen Seiten kennen. Am Ende des Tages sind wir aber wieder froh, festen Boden unter den Füßen zu haben.
Es gibt hier in Südafrika viele Weiße, die sich mit uns über ihr Land und ihre Probleme unterhalten möchten. „Apartheid Reverse“ nennt einer der weißen Farmer die augenblickliche Situation und erklärt uns wie sich die Mehrheitsverhältnisse bei der Besetzung öffentlicher Stellen zugunsten der Schwarzen ändert. „Es fehlt ihnen aber an der Ausbildung und der Erfahrung. Doch das neue System sieht vor, dass ein festgelegter Anteil der Entscheidungsträger in der Politik und in der Verwaltung aus der schwarzen Bevölkerungsschicht rekrutiert werden. So entsteht eine Gesellschaftspolitik die sich nicht nach Leistung orientiert und die sich an unserem früheren Apartheidsystem rächt.“ Mir kommt dabei die Frauenquote bei uns in Deutschland in den Sinn. Auch hierbei wird mit politischen Entscheidungen in die Wirtschaft eingegriffen und das Leistungsprinzip ausgehebelt. Das führt bei vielen Menschen zu Frustration. So teilen uns viele Weiße mit, dass bereits viele Leistungsträger Südafrika wieder verlassen haben und zurück nach Europa, Amerika oder in ein anderes Land Afrikas ausgewandert sind. Und trotz dieser Feststellung, können wir beobachten, dass viele einfache Dienstleistungen, wie Auto waschen und Schuhe putzen immer noch fast ausschließlich von Schwarzen durchgeführt werden und die Gesellschaft der Rassentrennung auch nach der Abschaffung der Apartheid noch überall spürbar ist. Wären wir noch vor einigen Jahren nach Südafrika gekommen, hätten wir diese Empfindung wohl noch viel deutlicher wahrnehmen können. Die Rassentrennung, wie der Begriff Apartheid übersetzt wird, ist politisch erst seit 1994 verschwunden, seit nämlich Nelson Mandela Präsident von Südafrika ist. Bis dieses System aber auch aus dem Alltag und den Köpfen der Menschen völlig verschwindet, werden wohl noch viele Jahre ins Land gehen. Es sind nicht nur die „niederen“ Dienstleistungen der schwarzen Bevölkerung, die uns noch immer sehr häufig begegnen, es sind natürlich auch die verwahrlosten Vororte, die ausschließlich von Schwarzen bewohnt werden. Hier in Südafrika werden sie Townships genannt. Und mit Soweto einem Township vor den Toren Johannesburg, haben sie eines, dass wegen der hohen Kriminalität zur zweifelhaften Bekanntheit gekommen ist. Diese Spuren werden noch viele Jahre in Südafrika von einer verfehlten Politik zeugen. Die Townships waren ursprünglich als Bleibe für die Dauer der Anstellung gedacht und bilden heutzutage ganze Städte mit einfacher, völlig unterentwickelter Infrastruktur. Ein Besuch dieser Vororte ist häufig möglich, doch sollte hierfür aus Sicherheitsgründen zwingend ein Führer engagiert werden, der die Besucher begleitet. So hat sich aus der „Zur Schau Stellung“ der Ärmsten regelrecht ein touristischer Zweig entwickelt, der für diese Menschen eine finanzielle Unterstützung bedeutet. Vor jeder größeren Stadt gibt es diese Townships. Und auch wir können uns ein Bild davon machen, als wir mit Führer ein Township besichtigen.
Die Küste Südafrikas bildet ein landschaftlich reizvolles Gebiet mit herrlichen Sandstränden. Getrübt wird dieses Bild lediglich von den starken Stürmen, die den Strandaufenthalt fast unmöglich machen. Für die so genannte Garden Route bis nach Port Elisabeth ist es leider auch nicht die ideale Reisezeit. Es ist Herbst und die Blütenpracht ist in dieser Jahreszeit schon vorüber. Aber es sind viele kleine Episoden die uns auf dieser Strecke passieren. Zwischen Jeffreys Bay und Port Elizabeth thront das kleine Nest Thornhill auf einer Anhöhe. Dort gibt es ein einziges Hotel, das aber allem Anschein nach schon lange keine Gäste mehr beherbergt hat. Als wir ankommen und um ein Nachtlager nachfragen, bekommen wir einen überaus freundlichen Empfang. „Nehmt Seife, Handtücher und Toilettenpapier mit“, gibt uns der Vermieter zu verstehen und drückt uns beiden alle genannten Artikel in die Hand. Anschließend legt er uns auf den Stapel auch noch den Stöpsel für das Bad. Wir schauen uns etwas fragend an, nehmen aber alles mit und beziehen unser Zimmer. „Ich hab einen Riesenhunger“, erklärt mir Peter und als ich ihm zustimme, dass es mir genauso geht, beschließen wir zunächst einmal unseren Hunger zu stillen. Der Speisesaal im Hotel ist so groß wie eine Turnhalle und steht für uns ganz alleine zur Verfügung. Wir genießen heute allein und exklusiv die Kochkünste der Frau des Vermieters. Anschließend trinken wir noch bis tief in die Nacht unseren Graca Wein, den wir seit einigen Tagen lieben gelernt haben. Am nächsten Tag haben wir beide alle Mühe früh aufzustehen. Dabei hatten wir doch beschlossen, jetzt jeden Tag so früh wie möglich auf unseren Rädern zu sein. Seitdem Peter die Hitze und die Sonne zu schaffen macht, passen wir unseren Tagesrhythmus den Sonnenstunden an. So fahren wir meist schon ab 6.00 Uhr los. In den frühen Morgenstunden können wir bis zur Mittagszeit einen großen Teil unserer Tagesstrecke radeln. An diesem Morgen regnet es jedoch und als wir endlich losradeln, sind wir nach wenigen Metern völlig durchnässt. Dabei stören uns weniger die nassen Klamotten am Leib, als vielmehr das Spritzwasser unserer Vorderräder und der vorbeidonnernden PKW`s und LKW`s, das uns ins Gesicht spritzt. Peter kommt als geübter Biker jetzt jeden Tag besser in Form. Mit dem Wind im Rücken ist er mir teilweise mehrere Kilometer voraus. Aber es ist wichtig, dass jeder seinen eigenen Rhythmus findet. Das gilt nicht nur auf Bergwanderungen, sondern auch, wenn man wie wir täglich acht und mehr Stunden auf dem Sattel sitzt. Einmal hatte ich sogar großes Glück, nicht direkt am Hinterrad von ihm zu sein. Denn bei einer der rasanten Abfahrten, löste sich plötzlich eine Flasche aus Glas, die Peter auf dem Gepäckträger verstaute und mit einem lauten Knall fiel sie auf die Teerfläche, wo sie anschließend in tausend Teile zersplitterte. Wäre ich in diesem Moment zu nahe hinter ihm gewesen, wäre ein Sturz aus voller Fahrt wohl unvermeidlich gewesen – wer weiß was dann passiert wäre. Ich wollte mir die Folgen eines Unfalls erst gar nicht ausmalen, es hätte unter Umständen das Ende unserer Reise bedeutet.
Zwischen East London und Port Shepstone liegt das Gebiet der Transkei. Sanft eingebettet in eine grüne hügelige Landschaft liegen die weitläufigen Dörfer. Auch Nelson Mandela hatte hier das Licht der Welt erblickt und seine Jugendzeit verbracht. Das Gebiet der Transkei ist Homeland der Xhosa. Homelands wurden als Zeichen getrennter Entwicklung der Ethnien zwischen Schwarz und Weiß den jeweiligen Stämmen in der Zeit der Rassentrennung zugewiesen. Der Unterschied der Transkei zum restlichen Südafrika wird für jeden sofort offensichtlich. Die Bevölkerung ist ausschließlich Schwarz, selbst unter den Durchreisenden befinden sich nur selten Weiße. Wer mit dem eigenen Fahrzeug unterwegs ist, umfährt dieses Gebiet so gut es geht. Drähte der Elektrifizierung hängen am Straßenrand von den Masten, Fahrzeuge aller Art rosten neben der Straße vor sich hin. Auch die Städte zeigen ein Bild mit großer Armut und geringem Lebensstandard. Dass hier neben Johannesburg die höchste Kriminalitätsrate in Südafrika liegt, ist nachvollziehbar, wenn man durch dieses Gebiet fährt. Wir haben uns entschlossen kein unnötiges Risiko einzugehen und uns deshalb für den Bus entschieden. Somit sind wir auch zwei Tage früher in Durban und können noch die Gegend nördlich von Durban bereisen.
Die größte Stadt der Provinz KwaZulu-Natal, die im Osten vom Indischen Ozean und im Westen von den Drakensbergen begrenzt wird, hat über 3 Millionen Einwohner. 60 % Schwarzafrikaner und 20 % Menschen indischer Abstammung machen den Großteil der Bevölkerung aus. Und sie hat eine echte Skyline mit dem schönsten Strand der Ostküste Südafrikas. Doch auf uns wirkt die Stadt nicht sehr einladend, da kann auch der Strand mit viel touristischem Flair nichts daran ändern. Deshalb beschließen wir schon bald weiter Richtung Norden zu fahren. Die Fahrt aus Durban heraus wird eine Tour durch zwielichtige Vororte immer auf der Suche einer Parallelstraße zur Autobahn N2. Und hier entdecken wir erstmals ein Verbotsschild für Radfahrer. Fritz aus Hannover kommt uns entgegen. Er hat bereits Erfahrung mit der örtlichen Polizei gemacht, als sie ihn von der Autobahn holten. „Die haben mir eine saftige Strafe aufgebrummt“, gibt er uns zu verstehen und beklagt, dass dadurch sein Reisebudget doch etwas gelitten hat. Er war acht Wochen im südlichen Afrika unterwegs und stand nun kurz vor seinem Ziel in Durban. Wenn sich Biker auf einer solchen Reise treffen, löst das gleich riesige Freude und gegenseitiges Interesse aus. Gleichgesinnte zu treffen, ist wie ein kleiner Triumph und eine willkommene Abwechslung auf dieser verrückten Reise. Gleichgesinnte mit denselben Problemen, denselben Zielen und derselben Einstellung wie wir sie haben. Am Ende haben wir schließlich den Weg aus Durban heraus gefunden. Die Gegend nördlich der Stadt wird immer weitläufiger und so wird unsere Fahrt über Land für uns und die dort lebenden Menschen immer befremdlicher und sie wird auch aus unserer subjektiven Betrachtung risikoreicher. Wir fahren durch die Region KwaZulu Natal, in dem der Stamm der Zulus sein Zuhause hat. Die Menschen auf der Straße klatschen und winken uns zu, so dass auch wir uns über ihre Begeisterung freuen. Sobald wir stehen bleiben, ist sofort eine Menschentraube um uns geschart und mustert uns und unsere Räder neugierig ab. Mittlerweile sind wir allerdings schon daran gewöhnt. Wir übernachten in Stanger. Stanger liegt etwa 100 Kilometer nördlich von Durban. Wir kommen erst am Abend dort an und quartieren uns im einzigen Hotel ein. Von Lipho einem sehr netten, aber etwas unbeholfenen Ober, lassen wir uns das Abendessen servieren und wollen den Abend bei einer Flasche Graca Wein ausklingen lassen. Es dauert eine Weile, bis Lipho die Flasche Wein geöffnet hat. Die Funktion eines Korkenziehers ist ihm scheinbar fremd. Ich biete ihm meine Hilfe an. Doch ihm ist es scheinbar wichtig diese Herausforderung selbst zu meistern. Schließlich ist es ja seine Aufgabe und ein wenig Stolz schwingt dabei sicherlich auch noch mit. Auch wenn es ein wenig länger dauert, am Ende hat er es doch geschafft die Flasche zu entkorken und wir haben dabei eine kurzweilige Darbietung auch noch zu sehen bekommen. Doch schon bald merken wir, dass sich eine Menschenmenge am Tisch um uns gebildet hat. Immer mehr setzen sich oder stehen neben uns. Je mehr getrunken wurde, desto aufdringlicher wirken die Menschen auf uns. Zum Glück können wir uns in Deutsch verständigen ohne dass die restliche Gruppe am Tisch etwas mitbekommt. Denn wir fühlen uns beide mittlerweile nicht mehr sicher. Ich gebe Peter zu verstehen, bald auf mein Zimmer zu verschwinden. Auch Peter flüchtet zusammen mit mir auf sein Zimmer. Auch wenn wir meist in einem Doppelzimmer schlafen, gab es in diesem Hotel nur Einzelzimmer für uns. Jeder von uns schließt sein Zimmer doppelt ab, wir verstecken unsere paar Habseligkeiten und haben auch gottlob die Nacht unversehrt überstanden. Am nächsten Morgen bemerkt Peter allerdings das Fehlen seiner Geldbörse. Nervös und ziemlich gereizt macht er sich auf die Suche. Natürlich denken wir an den gestrigen Abend zurück, vielleicht war Peter ja doch etwas unvorsichtig. Vielleicht waren der Wein und die anschließenden Biere etwas zu viel. Vielleicht hat er sein Geld liegen lassen oder es wurde ihm entwendet. Kurze Zeit später, findet er zum Glück jedoch seine Geldbörse wieder, er hatte sie einfach nur verlegt. Wir sind erleichtert. Wieder einmal wird uns bewusst, wie schnell eine ernsthafte Situation entstehen kann.
Für uns geht es anschließend noch ein Stück weiter nach Shakaland. Als wir zwei Frauen nach dem Weg fragen, bekommen wir nur ein verachtungsvolles kichern zu hören. Shakaland ist in unserem Reiseführer als ein Dorf eines Zulu Stammes beschrieben, das nach alter Tradition lebt und Touristen an dieser Tradition teilhaben lässt. Doch die Menschen auf dem Land können diese Art des Tourismus nicht begreifen und belächeln uns bei der Frage nach dem Weg dorthin. Wir kommen schließlich auch ohne fremde Hilfe dort an und können für zwei Tage die Lodges und die showreifen Aufführungen zur Geschichte der Zulus genießen. Auch wenn wir nicht ein einziges Mal auf unserer gesamten Reise auf unser mitgebrachtes Zelt zurückgreifen mussten, ist diese Unterkunft für uns Luxus und eine willkommene Erholung unserer Strapazen.
Die meisten Menschen verbinden einen Afrika Urlaub mit Tierbeobachtungen, Safaris, Savannen, unvergessliche Sonnenuntergänge und glasklaren Sternennächten. Diese sternenklaren Nächte habe ich auf meinen Afrikareisen sehr häufig erlebt, jedoch kann ich mich auf meiner ersten Reise nicht daran erinnern. Es ist ein überwältigendes Erlebnis in sternklarer Nacht und bei Neumond, auf diesem Teil der Erdkugel die sternenüberflutete Hemisphäre zu erleben. Diese Nächte haben mich immer wieder stark fasziniert und bleiben mir auch immer in Erinnerung. Aber natürlich wollten wir auf unserer Reise auch die einheimischen Tiere beobachten. Hier in Südafrika sind schließlich ideale Bedingungen dafür.
Die Tiere sind ausschließlich in riesigen Reservaten beheimatet, die alle eingezäunt sind. Mit dem Bike bietet sich allerdings keine Gelegenheit in die Parks oder Reservate zu fahren. Es wäre zu gefährlich. Entweder man mietet sich selbst ein Fahrzeug oder man schließt sich einer Reisegruppe an. Der Addo-Elephant Nationalpark in der nähe von Port Elizabeth bietet zum Beispiel hervorragende Beobachtungsplätze für Elefantenherden. Am Ende des Tages kommt hier sicher jeder auf seine Kosten und kann sich vollkommen der Tierbeobachtung widmen. Auch im weiter nördlich gelegenen Hluhluwe Game Park und in St. Lucia ist das der Fall. Wir haben auf unserer Reise leider nicht alle afrikanischen Tierarten der berühmten Big Five beobachten können, aber das war uns auch nie wirklich wichtig. Bei den Big Five sind der afrikanischen Elefant, das Spitzmaulnashorn, der Büffel, der Löwe und der Leopard gemeint. Die Beobachtung der letzteren zwei Tierarten blieb uns verwehrt. Und dennoch haben wir den Eindruck, neben der fremden Kultur, in die wir eintauchen durften, auch die afrikanische Tierwelt gesehen zu haben.
Als wir uns in Richards Bay in den Bus zurück nach Johannesburg setzen, treten wir mit gemischten Gefühlen die Rückreise an. So sind wir natürlich froh, ja sogar stolz auf unsere Leistung und die Tatsache, dass wir unseren Plan verwirklicht und über 1500 Kilometer mit dem Rad zurückgelegt haben. Dabei hatten wir kaum Probleme mit Übernachtung und Verpflegung. Aber wir nehmen auch die Erinnerung mit, was uns der tägliche Kampf gegen Wind, Regen und den vielen Stunden auf dem Sattel alles abverlangt hat. Mit dem Rad zu reisen ist sicher abenteuerlich, aber nicht ideal in diesem Land. Dazu das Gefühl der immer größer werdenden Unsicherheit je weiter wir nach Norden kamen. Aber noch sind wir nicht Zuhause, denn in Johannesburg warten noch weitere Abenteuer auf uns.
Mitten in der Nacht steigen wir bei Dauerregen in einem vorgelegenen Stadtviertel Johannesburgs aus, denn wir wollen in der Nähe des Flughafens unser Quartier suchen. Der erste Eindruck der Gegend kann uns nicht glauben lassen, hier ein vernünftige Bleibe für eine Nacht zu finden. Wir prüfen die erste mögliche Unterkunft, schließen sie aber nach der Zimmerinspektion kategorisch aus. Das ganze Haus macht einen grauenhaften Eindruck, die Zimmer stecken voller Ungeziefer, das Bett ist nicht zu gebrauchen. Auch bei den nächsten Häusern haben wir das Gefühl in der Nacht ein sicheres Opfer eines Überfalls zu werden. Ein junger dunkelschwarzer Afrikaner spricht uns an. Wir sehen wohl sehr verloren aus und geben ein leichtes Opfer für mögliche Nepper ab. „Are you looking for a room?“ frägt er uns. Ja das tun wir, aber sollen wir uns wirklich ihm anvertrauen? Mitten in der Nacht, bei Regen und in dieser Gegend? Doch wir haben auch keine wirklichen Alternativen. Wir folgen ihm vorsichtig, denn wir müssen uns eingestehen, wohl auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, wenn wir hier noch eine brauchbare Übernachtungsmöglichkeit finden wollen. Wir hoffen, dass er uns seine Hilfe nur aus lauter Gastfreundschaft anbietet. Doch je weiter wir gemeinsam gehen, desto enger und dunkler werden die Straßen. „Ich gehe hier keinen Schritt weiter“ sage ich zu Peter „hinter der nächsten Ecke warten möglicher weise seine Kumpels und hauen uns eins über die Rübe“. Wir einigen uns also darauf, nur noch bis zur nächsten Ecke und in einem Abstand von mindestens 30 Meter voneinander weiterzugehen. So hat wenigstens einer von uns die Chance davonzulaufen um Hilfe zu holen. Zum Glück kommen wir nach wenigen Metern an ein Guest House. Doch die Unterkunft ist nicht viel besser als alle anderen, die wir zuvor besichtigt hatten. Wir entschließen uns trotzdem hier zu übernachten und breiten auf dem Fußboden unseres Zimmers unsere Iso-Matten aus. Wir wollen nicht noch in der letzten Nacht zusammen mit Wanzen und Läusen übernachten. Von der langen Fahrt im Bus haben wir beide mächtig Hunger bekommen. Die Restaurants und Bars im Stadtviertel sind alle mit einem Gitter versperrt. Als wir an einem der Kneipen klingeln, werden wir von oben bis unten abgecheckt. Anschließend bekommen wir Einlass. Wir können kaum glauben, welche Sicherheitsvorkehrungen hier in Johannesburg getroffen werden, um mögliche Krimimelle abzuhalten. Zum Glück haben wir auch diese Hürde gemeistert, denn wie übliche Touristen sehen wir wirklich nicht aus. Wir gehen zurück ins Hotel, versperren unsere Zimmertür und hoffen die Nacht unbeschadet zu überstehen. Doch mitten in der Nacht wache ich plötzlich vom Lärm im Flur auf. Ich sehe zu Peters Schlafplatz hinüber, doch der liegt nicht auf seiner Iso-Matte und ist auch nicht im Zimmer. Im nächsten Moment verbinde ich den Lärm instinktiv mit ihm. Was war nur geschehen? Doch mitten in der Nacht muss ich meine Gedanken erst ordnen. Und noch bevor ich richtig klar im Kopf bin und die Situation einschätzen kann, springt er nur mit seiner Unterhose bekleidet wieder zur Tür herein. „Was ist denn mir dir los?“, frage ich ihn noch halb im Schlaf. „Ich musste dringend auf die Toilette und habe in der Eile die Damentoilette benutzt“, erklärt er mir. Doch da war er nicht lange allein. Was darauf folgte, hörte das ganze Hotel. Spätestens jetzt wussten wohl alle, dass ein paar „crazy guys“ hier nächtigen und am nächsten Morgen war Peters nächtlicher Ausflug sicher Gesprächsthema Nummer eins für die wenigen Gäste und den Hotelbesitzer. Wir verlassen zum Glück schon sehr früh wieder unser Hotel und besuchen noch vor der Rückreise Soweto, das größte Township vor den Toren Johannesburgs. In der Vorstadt mit über vier Millionen Menschen zeigt sich jedoch auch, dass verglichen mit den benachbarten Ländern Südafrikas der Lebensstandard selbst in diesen Slumvierteln noch relativ hoch ist. Die Menschen leben von einfachen Arbeiten wie Autowäsche, Schuhe putzen oder anderen Dienstleistungen. Uns fällt auf, dass meist nur ein Familienmitglied einem Job nachgeht und so zur Unterstützung der gesamten Familie beiträgt. Soweto gilt als Synonym für den schwarzen Widerstand gegen die Apartheid. South West Township, so der vollständige Name Sowetos, hat eine Größe von ca. 120 km². Armut, Alkohol- und Drogenkonsum, sowie die Zugehörigkeit der Menschen zu vielen unterschiedlichen Stämmen, sorgen immer noch für eine sehr hohe Kriminalität. Ein Besuch sollte deshalb niemals alleine, sondern immer mit einer organisierten Führung unternommen werden. So erfahren wir, dass es auch Unternehmer, Politiker und sogar Millionäre gibt, die sich, durch hohe Mauern gesichert, hier inmitten der Armen niedergelassen haben. Ein noch größeren Unterschied der Lebensweise zwischen Arm und Reich auf so einem engen Raum können wir uns kaum vorstellen.
Unser Flieger geht an diesem Tag zurück nach Deutschland. Mit einem sehr zufriedenen Gefühl steigen wir ein. Es ist das Gefühl eine ganz besondere Reise erlebt zu haben, die uns immer in Erinnerung bleibt. Wir haben unser erstes Abenteuer in Afrika überstanden.