Schon in den frühen Morgenstunden holt mich Chris von meinem Hotelzimmer ab. Chris ist der Expeditionsleiter unserer Reisegruppe und gleichzeitig auch Firmenchef von VEI (Vulkan Expedition International), einem der wenigen deutschen Anbieter für Vulkantouren.
Wir sind eine Gruppe von 13 Teilnehmern, 4 Fahrer und Köche aufgeteilt auf 4 Geländefahrzeuge. Dazu kommen natürlich noch Chris und seine Frau Anita.
Unser Ziel ist das Afar Gebiet. Es umfasst den nordöstlichen Teil Äthiopiens und grenzt in weiten Teilen an Eritrea. In diesem Teil befindet sich auch die Danakil Senke, eine Depression, die bis zu 125 Meter unter dem Meeresspiegel liegt. Und genau in dieser sehr heißen Gegend gibt es zahlreiche Vulkane, die durch drei noch aktive Grabenbrüche entstanden sind.
Da es schon häufiger zu Übergriffen und sogar zu Geiselnahmen von Touristengruppen durch angrenzende Stämme aus Eritrea gekommen ist, ist die Einreise nur mit militärischem oder polizeilichem Schutz erlaubt. So hat sich für mich nie die Frage gestellt, ob dieses Gebiet auch mit dem Fahrrad bereist werden kann. Abgesehen von der unerträglichen Hitze, wäre es einfach zu gefährlich. Nach der Abspaltung Eritreas von Äthiopien 1993 begann fünf Jahre später ein erbitterter Krieg zwischen den Staaten. Und auch wenn zum Zeitpunkt meiner Reise Waffenstillstand herrscht, waren die Feindseligkeiten beider Länder für uns schon sehr spürbar.
Schnell wird bei einer Vorstellungsrunde der Gruppe klar, dass fast alle schon Vulkanreisen hinter sich hatten und teilweise ausgesprochene Experten auf diesem Gebiet geworden sind. Viele von ihnen kennen sich untereinander bereits aus früheren Reisen mit VEI. Ein absoluter Fachmann ist natürlich Chris, der mich mit seinem Fachwissen immer wieder in Erstaunen versetzt. Und mit Raffael, einem Schweizer, haben wir auch einen absoluten Fotoexperten in unseren Reihen. Von ihm kann ich in den nächsten Tagen viel von Langzeitbelichtungen bei Nacht, Darstellung verschiedener Perspektiven, Blendeneinstellungen und Verschlusszeiten lernen.
Von Addis Abeba fliegen wir zuerst nach Makele. Als wir dort landen, tobt ein heftiges Gewitter über der Stadt und über dem Flughafen. Blitz und Donner sind fast zeitgleich wahrzunehmen. Mein Zimmer im schönsten Hotel auf dieser Reise teile ich in der ersten Nacht mit Bob. Bob kommt aus England, lebt aber schon seit über 30 Jahren in Bremen. Er ist in dieser Zeit auch ein begeisterter Fußballfan von Werder Bremen geworden. Da Werder zum Zeitpunkt der Reise aber stark abstiegsgefährdet ist, ziehe ich ihn in den nächsten Tagen und Wochen immer wieder damit auf.
Am ersten Tag fahren wir von Mekele, das auf einer Höhe von ca. 2000 Meter liegt, hinunter in das Dallol Gebiet, bis auf 80 Meter unterhalb des Meeresspiegels. Wir fahren durch gigantische schöne Landschaften und interessante Städte. Schon am ersten Tag kann ich mich kaum zurückhalten beim Fotografieren. Im Innenraum unseres Fahrzeuges klickt permanent der Verschluss unserer Kameras. Wir sind einfach fasziniert von diesem Teil des Landes. Auf der Fahrt in die Senke wird es mit jedem gefahrenen Kilometer nach unten spürbar wärmer. In Berhale ist unsere Mittagspause eingeplant. Hier verbringen wir über 2 Stunden bis Chris und seine Helfer die Genehmigung zur Weiterfahrt bekommt und wir mit Begleitschutz unsere Fahrt fortsetzen dürfen. Nach langer Fahrt sind wir abends in Amadela. Dort schlagen wir unser Nachtquartier auf. Mir reicht meine Isomatte, denn bei dieser lauen Nacht möchte ich mir dieses Sternenzelt nicht entgehen lassen.
Am nächsten Morgen geht es nach dem Frühstück zu dem Ort mit der heißesten Durchschnittstemperatur auf unserer Erde. In die Vulkanlandschaft Dallol. Hier sprudelt Säure direkt aus dem Boden und bildet Seen und Tümpel. Es ist eine Farblandschaft, die unwirklich erscheint. Wir fühlen uns, als ob wir auf einem anderen Planeten wären. Bei über 40 Grad wandern wir durch diese Landschaft und sind völlig fasziniert von der Vielzahl an Farben und Formen. Unser Weg führt uns an einer alten Mine vorbei, die hier bis in den 1940er Jahren noch in Betrieb war. Die Mine wurde von einer italienischen Gesellschaft für den Kaliumabbau betrieben. Heute stehen nur noch rostige Überbleibsel der einstigen Mine und einige Autowracks herum, die den Ort wie eine Geisterstadt auf uns wirken lässt. Chris achtet sehr darauf, dass wir auch immer auf den vorgegebenen Wegen bleiben. Denn durch die dünne Mineralkruste kann man abseits der Wege leicht durchbrechen und würde dann in die Säurepools einsinken. Das Wort Dallol bedeutet bei den Afar nicht umsonst: Ort ohne Wiederkehr.
Wir fahren ein Stück weiter durch eine endlose wirkende Salzwüste. Hier werden mühselig mit Hilfe einfacher Handwerkzeuge Salzplatten aus dem Boden geklopft. Die Platten werden anschließend bei größter Hitze inmitten der Salzlandschaft, die keinen schattenspendenden Baum kennt, zu handlichen Formen weiter verarbeitet und auf dem Rücken der Kamele geht es in langen Karawanen in zwei Tagen bis nach Berahile, dem Umschlagplatz für Salz. Ein Tag voller interessanter Eindrücke. Und keiner von uns beschwert sich über das lauwarme Cola am Abend in der Dorfbar. Dafür sind uns die Bilder der schwer schuftenden Menschen, die sich für einen Hungerlohn in der Hitze des Tages beim Salzabbau abrackern noch zu sehr in Erinnerung.
Am darauf folgenden Tag befinden wir uns meist in unseren Fahrzeugen. Wir sind den ganzen Tag unterwegs und schlagen abends unsere Zelte am Afrera See auf. Eine Abkühlung bringt das Bad im sehr salzigen und heißen See allerdings nicht. Aber es tut gut die Staubschicht von der Haut zu waschen, auch wenn wir sie anschließend mit eine Salzschicht, die sich beim Trocknen der Haut bildet, auf unserer Haut eintauschen. Ich baue meine Hängematte zwischen zwei Bäumen auf und genieße die lauwarme Luft der Nacht unter freiem Sternenhimmel. Nach dieser unwirklich wirkenden Welt an diesem Tag, sind wir beim Frühstück am nächsten Morgen in der Wirklichkeit zurück. Angela Merkel ist in einer Ansprache am Bildschirm des Fernsehers im Restaurant zu sehen. Harte Politik, die für die Menschen im Afar Gebiet wohl eher befremdlich klingt. Nach unserem Frühstück geht es auf schwierigen Off-Road Pisten zum Base Camp des Vulkans Erta Ale. Beim Erta Ale handelt es sich um einen basaltischen Schildvulkan. Die Besonderheit ist bei diesem Vulkan, dass der Lavasee in seiner Caldera permanent köchelt. Unter der dünnen Lavahaut tobt ein brodelndes Inferno.
Wir werden in der Nacht um 2 Uhr die ca. 700 Höhenmeter in drei Stunden Aufstieg in Angriff nehmen. Kamele mit Proviant, unseren Zelten, Liegematten und unserem Gepäck werden uns voraus marschieren und so können wir unsere Zelte, nahe am Vulkankrater, noch vor Tagesanbruch in den frühen Morgenstunden aufbauen. Wir sind zwei Nächte hier am Kraterrand. Tagsüber ist es hier extrem heiß, so dass jeder vorhandene Schatten genutzt wird, uns vor der aggressiven Sonne zu schützen. Eigentlich liegen wir nur den ganzen heißen Tag zwischen den kühleren Stunden frühmorgens und spätabends im Schatten herum und unterbrechen unsere Lethargie nur bei vielen Trinkpausen und bei den Mahlzeiten. Falls wir uns doch gelegentlich dazu entschließen die nähere Umgebung zu erkunden, steht sofort unser Begleitschutz zur Stelle. Zwei Männer vom Militär mit Kalaschnikows begleiten uns auf Schritt und Tritt. Da bin ich schon froh, meinen menschlichen Bedürfnissen nachkommen zu dürfen, ohne dass ständig jemand mit einer Knarre neben mir steht.
Unsere Innenzelte haben wir mit Steine beschwert, da der andauernde starke Wind sonst unsere Zelte einfach wegblasen würde. Durch die scharfkantigen Lavasteine sind unsere Zelte nach den drei Tagen jedoch stark beschädigt worden. Die Steinkanten haben durch den Wind faustgroße Löcher in die Netze der Innenzelte geschnitten.
Doch wir werden für unsere Strapazen auch entschädigt. In den kühleren Abend- und Nachtzeiten stehen wir mit unseren Gasmasken am Kraterrand und staunen über die brodelnde Lavamasse im Vulkan. Nachdem sich genügend Druck aufbaut, schießen immer wieder heiße Lavaströme empor und wir sind fasziniert von diesem Schauspiel. Stundenlang beobachten wir das Treiben und können gar nicht genug davon bekommen. Auch in der Nacht bildet die heiße, hochkochende Lava mit dem Sternenmeer ein ausgesprochen attraktives Fotomotiv. Wir dürfen uns nicht zu nahe am Kraterrand aufhalten. Immer wieder brechen große Felsbrocken an der Kante ab und stürzen ins Lava-Meer. Der Gedanke daran mit abzurutschen macht uns natürlich vorsichtig.
Unsere Afar Helfer kümmern sich umsichtig um uns. Mit einfachen Mitteln zaubern sie immer wieder köstliche Gerichte. Vielleicht lag es an unserem Hunger, aber ich habe noch nie solchen Appetit auf Pasta, Suppen, Gemüse und leckeren Pfannkuchen verspürt wie auf dieser Reise.
Als wir am dritten Tag am späten Nachmittag wieder absteigen, sind wir alle ziemlich schlapp und gerädert. Ich habe das Gefühl, dass die Hitze des Tages und natürlich auch die Hitze am Rande des Vulkans mehr schlauchen, als so mancher Tag auf dem Rad. Nach drei Stunden Abstieg schlafen wir wieder tief und fest unter freiem Himmel.
Unsere letzte Station auf dieser Tour machen wir im Awash National Park. Da wir erst sehr spät in der Dunkelheit ankommen, gelangen wir nur mit Chris Überredungskunst noch in den Nationalpark hinein. Nachdem wir unser Nachtquartier bezogen haben, sind wir allerdings erstaunt, als alle Servicekräfte, die ihren Dienst für diesen Tag schon beendet hatten, für uns wieder zurückkommen und das Restaurant wieder geöffnet wird.
Auch das ist Dienstleistung in Afrika.